Assozialisierung der Menschheit

Oder: Wenn das Falsche plötzlich richtig ist

„Sex, Drugs and Rock‘n’Roll“ sollen salonfähig gemacht werden.
Ein Lebensstil der kein gutes Ende nimmt.

Hier eine Lebensgeschichte:

Bis zum Beginn der neunzehnhundertachtziger Jahren gehörten Drogen zu meinem Lifestyle.
Meine Finger waren gelb, in meinen Handflächen braune Flecken vom Rauch ungezählter Kippen,
Joints, Haschpfeifchen, Blubber, Bongs und Chillums.
Wenn du mich Anfang bis Mitte Zwanzig nach meiner Identität gefragt hättest,
hättest du „Kiffer“ als Antwort bekommen. Ich war keine Null, keine Zahl ohne Ziffer,
ich war Kiffer.

Und „Acid-Freak“, denn unendlich stärker noch als Nikotin, Gras und Shit beeinflussten zahlreiche LSD-Trips mein Denken, meine Wahrnehmungen und meine Gefühle. Ein Dutzend Zwangseinweisungen in Landeskrankenhäuser, Psychiatrien oder Heilanstalten lassen erahnen,
wie „durchgeknallt“ ich damals war. Ärzte im Gesundheitsamt arbeiteten auf meine Entmündigung hin, eine Rückkehr ins „normale Leben “ schien nicht denkbar, die wenige Freunde,
die geblieben waren, befürchteten eine Zukunft im Irrenhaus.

Heute mit Siebzig sehe ich aus einem veränderten Blickwinkel auf das,
was mich damals um die Gesundheit und beinahe um den Verstand gebracht hat.
Seit zweiundvierzig Jahren lebe ich „straight edge“, d.h. in einer zufriedenen,
bewussten Nüchternheit ohne Tabak, Alkohol, Drogen und Psychopharmaka.
Die Musik heute ist anders, die Mode, die Drogen.
Das Elend der Abhängigen und Süchtigen aber ist gleich geblieben.

Joe Wittrock